Sind wir jedoch wirklich in der Lage die Gegenwart kritisch zu beurteilen, wo wir doch keinerlei Distanz zu ihr aufbauen können?
Ich dachte, deine ganzen kritischen Ausführungen zum Zustand unserer Demokratie würden darauf beruhen, dass du dich als qualifiziert ansiehst, unsere Gegenwart kritisch zu beurteilen!?!
Ansonsten argumentierst du auf einer ziemlich abstrakten Ebene, was den "Reset" unserer Demokratie angeht. Ohne weitere Ausführungen dazu hört sich das mir zu sehr nach Umerziehung, Brainwashing oder eben Methoden der "Indoktrination" an. Das wäre meiner Meinung nach eben nicht mit dem Konzept einer Demokratie zu vereinbaren. Das kennen wir eher aus anderen - totalitären - Herrschaftsformen. Stattdessen müssen wir mit unseren Argumenten werben - aber der Erfolg wird in der Regel nur allmählich eintreten. Ein abrupter "Reset" ist meiner Meinung nach utopisch...
Dass man generell über neue Beteiligungsformen der Bürger nachdenken kann, würde ich jederzeit unterstützen.
Am Beispiel der Piratenpartei hat sich allerdings gezeigt, dass solche Konzepte auch nicht einfach vom Himmel fallen - und vor allem (noch) nicht erfolgreich und langfristig - umzusetzen sind.
In der Anonymität des Netzes war das Hauen und Stechen der Mitglieder besonders groß. Das ist ständig auf ein unmenschliches Niveau abgeglitten, dass sich die meisten in realer Interaktion niemals getraut hätten (gut so) und am Ende niemandem etwas gebracht hat. Da müsste man tatsächlich die Wahlberechtigten "resetten" - aber wie soll das gehen? Ich sage, das geht (sinnvollerweise) nur durch mühsame Überzeugungsarbeit, - am besten - im direkten Dialog und indem man sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt, sodass man aus dem Grundrauschen von Millionen von Menschen hinaustreten kann, und dazu muss man häufig Kompromisse machen.
Und was meinst du mit einer "klitzekleinen Änderung", die "alles verändern kann"?
Wie ich schon sagte, Verbesserungen brauchen häufig Zeit. Die wird es wahrscheinlich auch bei deinem Konzept brauchen, dass sich mir allerdings auch nicht ganz erschlossen hat.
Davon abgesehen: Allen, die nicht deiner Meinung sind, zu unterstellen, "indoktriniert" zu sein, dürfte kontraproduktiv für die dich erwartende Überzeugungsarbeit sein. Im Gegenteil, unsere Meinungsfreiheit erlaubt es uns ja gerade, Widerspruch zu äußern und gegen den wahrgenommen Missstand zu argumentieren. (Abgesehen von widerlichen, verhetzenden Hassbotschaften, die meiner Meinung nach zu Recht nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind.) Mal ganz davon abgesehen, dass sich wahre Opfer von staatlicher oder bspw. religiöser Indoktrination wahrscheinlich sehr ärgern würden, wenn sie lesen würden, wie leger und verharmlosend du mit diesem Begriff umgehst.
Oder wie stellst du dir Umsetzung deines "Resets" vor? Par ordre du mufti?
P.s.: Jeder der sich artikulieren kann, kann sich in einer Demokratie engagieren und einbringen. Die Macht der Meinungsfreiheit ist nicht zu unterschätzen. Deswegen wird sie von Autokraten auch so gehasst.
Und selbst wenn sich deine Reformvorstellungen nur auf Beiträge in Internetforen beschränken sollten, so hast du doch die Möglichkeit, andere zu überzeugen. Das ist genau der Weg, den man einschlagen muss: Für die eigenen Überzeugungen werben. In diesem Sinne engagierst du dich doch schon bereits im Sinne unserer Demokratie. Du trägst nämlich zur Meinungsbildung deiner Leser bei. Dass du diese Möglichkeit hast, ist deine dir garantierte Freiheit. Deinen Mitmenschen ist allerdings auch garantiert, dass sie deine Meinung nicht gutfinden müssen.
P.p.s.: Was die Begrenzung des Einflusses von Interessengruppen angeht, die unsere demokratischen Grundrechte zu ihren Gunsten missbrauchen wollen, bin ich voll bei dir. Aber diese Gruppen müssen wir mit den Mitteln der Demokratie bekämpfen. Und dazu braucht es Bewusstsein - auch da stimme ich dir zu. Insofern sehe ich die zunehmende Re-Politisierung (im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten) der Bürger als grundsätlich positiv an (Auch wenn die Gefahr besteht, dass auch politischer Extremismus davon profitiert. Umso mehr brauchen wir demokratisches Engagement, zur Verteidigung - und Weiterentwicklung - unser demokratischen Grundrechte.)